Inszenierung

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"it's never just training"

2004, 100 Jahre Steinbruch Guber, Alpnach

Lara Croft alias Jennifer Kuhn inspiziert die

einstigen Schlafkammern und Wohnräume der Steinhauer aus Italien

 

"der Schauplatz, die Pose, tener àngel"

Den Moment erfassen – Zwischen Spiel und Wirklichkeit 

Jennifer Kuhn erzählte mir, dass sie ganz gezielt die Abgeschiedenheit von Orten suche. Denn der menschenleere Ort (wie der Wald) oder gar der menschenfeindliche Ort (wie die Eishöhle) ermöglichen es (oder erzwingen es gar), sich unmittelbar mit der Situation, die sich bietet, auseinanderzusetzen. Das heisst: Sich vollkommen auf das einzulassen, was man vorfindet, mit sich führt, auf sich trägt und was an Gefühlen und Stimmungen aufkommt. Die Natur ist also zunächst einmal nicht Schauplatz sondern ein Arbeitsort.

In der Fotoserie „Allalin“ wirkt der Blick aufs Vorgefundene beinahe touristisch. Zu sehen ist die Künstlerin, die auf ihrer Gletscherbegehung, eine Eishöhle als Arbeitsort erkundet. Zum einen schweift sie umher, dann wiederum ruht ihr Blick, als ob man etwas in der Tiefe des Eises finden und bergen müsse. Sicher kann ich mir beim Betrachten der Fotografien nicht sein. Gibt es hier ein Geheimnis zu lüften? Oder geht es doch vor allem um die Schönheit der eisigen, blau erstrahlenden Oberflächen? Die Antworten bleiben wohl im Dunkeln einer Kiste verborgen.

Die Rollen der Künstlerin

Um vor Ort zu arbeiten, schlüpft die Künstlerin gewissermassen in eine Rolle. Vielleicht ist es gerade der fiktive Blick der Fremden auf die ganz all-täglichen Räume und bekannten Gegenstände, die die Künstlerin interessiert. Ein Blick, der möglichst unvoreingenommen, naiv und neugierig ist. Ein Blick, der nichts wissen will und „nur“ mit Auge & Leib die Welt zu verstehen versucht.

Dieser Blick gehört vielleicht der Einäugigen in Marken-turnschuhen, die in der Bildserie „It’s never just training“ das Innenlebens eines Raumes erforscht. In den Fotografien können wir ihrem einseitigen Blick folgen und sehen, wie sie sich im Raum positioniert und uns so auf Erscheinungsweisen alltäglicher Objekte aufmerksam macht.

Diese Figur folgt jedoch keiner eigentlichen Regie und doch gelingt es ihr beispielsweise den gewöhnlichen Wasserhahn mit der fiktiven Kraft ihres Figurenspiels zu verändern. Also eine Art Brille, so scheint es mir, durch die wir die fotografisch vermittelte Wirklichkeit einmal anders sehen sollen: Oder haben wir uns so sehr daran gewöhnt, dass aus dem Hahn stets Wasser kommt?

 

Die Künstlerin benutzt die Mittel der Schauspielerei, um ihren ureigensten Eindruck der Dinge zu ermitteln. Mit dieser sinnlich erfassten Darstellungsform soll der mitinszenierte Gegenstand von seiner eigentlich zugewiesenen Bedeutung, Funktion und Nutzen für kurze Zeit befreit werden. Die Türen zum Unbewussten und Assoziativen werden aufgestossen, denn nicht immer ist es offensichtlich, in welchem Verhältnis Figur und Umwelt zu einander stehen.

 

Was geschieht beispielsweise, wenn wir eine von der Künstlerin eingenommene Körperhaltung oder ihre Verkleidung in Bezug auf die fotografierte Umgebung zu deuten versuchen?

Wenn ich in der Arbeit  die in Stoff eingehüllte Figur vor dem Eingang einer Höhle stehen sehe, komme ich durch ein sprachliches Spiel von der Verborgenen aufs Verbergende. Ich denke dabei an eine für den Menschen ursprüngliche Bedeutung der Höhle: Schutz.

Fotografische Erfassung

Die so vor Ort entstandenen intuitiven Aktionen (Ortsbegehungen), die ich durchaus als eine Form phantastischer Erforschung räumlicher Verhältnisse verstehe, werden mit dem Selbstauslöser einer Kamera eingefangen.

Jennifer Kuhn betont, dass ihr Werk nicht als Dokumentation von Performances zu verstehen ist, sondern in den Bereich der inszenierten Fotografie gehört.

Eine Geschichte mit einem Anfang und Ende wird in den Arbeiten daher nicht erzählt. Die Künstlerin zeigt Einzelmomente, in denen die vollzogene Aktion in ihrem Ablauf nicht mehr eindeutig zu erkennen ist. Es sind gerade die vieldeutigen, rätselhaften Momente, bei denen der Betrachter die erstarrte Bewegung zu Ende oder gar weiter denken muss.

 

Wenn die Künstlerin selbst Regie führt und in der Arbeit „trois“ zwei Akteurinnen und einen Akteur mit Requisiten interagieren lässt, so interessiert die Künstlerin das, was zwischen den Aktionen entsteht. Zum Beispiel in Momenten, wenn die Akteurinnen und Akteure kurz ausruhen oder aufatmen und trotz Kamera, Kostümen und Requisiten ganz bei sich sind. Das ist der gesuchte Augenblick, in dem sich die Ebenen des Gestalteten und Ungestalteten, Gespielten und Echten vermischen.

 

Die Fotoserie „Scarlet“

Die eindringliche Fotoserie „Scarlet“ zeigt Jennifer Kuhn mit markantem Pelzhut und Wintermantel in der Abgeschiedenheit eines verschneiten Waldstückes. Die Künstlerin vermittelt einen entspannten Eindruck, obschon sie sich auf dem kalten Nass des verschneiten Waldbodens befindet. Verstärkt wird dieser Kontrast, da die Akteurin offensichtlich spielt, in dem sie, wie mir die Künstlerin sagte, „Schneeküchlein“ mittels Bechern anrichtet. Der geformte Schnee hinterlässt hier eine flüchtige Spur spielerischer Handlung im Wald.

 

Doch was ist Wald? Welche Rolle spielt er in der Bildsprache der Künstlerin? Antworten möchte ich mit den Worten des Surrealisten Max Ernst: „Gemischte Gefühle, als ich zum ersten Mal einen Wald betrat. Entzücken und Bedrückung und das, was die Romantiker Naturgefühl getauft hatten. Die wunderbare Lust frei zu atmen im offenen Raum, doch gleichzeitig, die Beklemmung, ringsum von feindlichen Bäumen eingekerkert zu sein. Draussen und drinnen zugleich. Frei und gefangen. Wer soll das Rätsel lösen?“

 

In den Werken Jennifer Kuhns wird gerade der Wald zum Schauplatz ambivalenter Gefühle und ist womöglich als Stellvertreter für das Weltganze zu sehen.

Über den Wald wird, so ist mein Eindruck, das heikle Verhältnis zwischen Ich und Umwelt thematisiert. Dieses Verhältnis betrifft im Grunde jeden und jede, da die Frage nach der Beziehung zur Umwelt nicht eine rein politische ist, sondern in erster Linie eine persönliche. Eine Frage der Lebenshaltung.

 

Die Künstlerin ist in der Bildserie „Scarlet“ eine Spielende, die überspitzt gesagt, weder Opfer noch Beherrscherin ist. Die Grenzen von Mensch und Objekten werden aufgelöst. Die Akteurin verschmilzt mir ihrer Umwelt, indem sie den Naturvorgang nachahmt: Wie die Natur ist die Spielende ohne Zweck, ohne Nutzen und ohne Anstrengung.

 

Das Spiel

„Ich stelle mich als Spielende nicht selber dar, sondern das Spiel kommt durch mich zur Darstellung“, erzählte mir die Künstlerin.

Dies ist keine leichtfertige Aussage. Denn das Rollen-Spiel der Künstlerin ist eine sich selbst vergessende Erfahrung, die sowohl absorbiert, als auch verwandelt. Denn die konsequente Spielerin gibt sich dem ewig Zirkulierenden hin, dem Genuss des Gebanntseins, der Verengung der Aufmerksamkeit und dem Entscheid, die Umwelt bedingungslos anzunehmen.

Das Spiel verstehe ich als ein Art erkämpften Zustand, der sich der Eroberung des vollständig Nutzlosen, der Zeitlosigkeit, dem Verschmelzen von Handlung und Bewusstsein, der Kongruenz von Subjekt und Umwelt verschreibt.

 

Von diesen Erfahrungen mit der Wirklichkeit berichtet uns die Künstlerin: In der Fotoserie „It’s never just training“ wird bereits im Titel der Arbeit angedeutet, dass das Spielerische (eben das training) dann am Interessantesten ist, wenn es ernst genommen wird.

 

Das Eigentümliche am Spiel ist, dass wirklich alles als dazugehörig gesehen werden kann, selbst das Betrachten der Kunst! Es liegt nun an Ihnen, wie sehr Sie sich von der fiktiven Kraft der Figuren Jennifer Kuhns anstecken lassen und den Natur- oder Alltagsgegenstand zwischen Zweck und Phantasie oszillieren lassen wollen!

Text: Roger Amgwerd